Archiv für den Tag: 17. September 2014

Kaffeekrise im Kaukasus

Schwer gebeugt sind wir in diesen Tag gestartet, und weil brettharte Matratzen und Schnupfen noch nicht genug sind, erwartete uns ein wahres Frühstücksfiasko. Ein abgefressenes, liebloses Buffet und KEIN Kaffee! Ein altersschwacher Kaffeeautomat an einer Tankstelle rettete den Tag und gab genügend Energie, damit wir die 200 Stufen zum Kloster Sewan schafften. Besonderes Schmuckstück war ein Kreuzstein im Inneren, auf dem Christus als Mongole mit Schlitzaugen und Zöpfen dargestellt wurde. Für alle älteren Leser und Bonanza-Fans: sah aus wie Hop-Sing.

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Wir fuhren entlang des Sees, weiterhin auf der Seidenstraße, durch die karge, aber reizvolle Steppenlandschaft. Durch einen 2,5 km langen Tunnel fuhren wir auf die andere Seite des Berges und die Landschaft änderte sich schlagartig. Üppige, grüne Wälder in der „armenischen Schweiz“ begleiteten uns auf dem Weg nach Dilijan. Da, wo Steinhäuser mit schönen Holzschnitzereien an den Giebeln und Balkonen die eigentliche Attraktion sein könnten, versucht man stattdessen durch den Bau einer modernen Internationalen Schule und der Verlegung der armenischen Zentralbank hierher, den Tourismus anzukurbeln. Das verstehe, wer mag… – armenisch eben.

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Am Straßenrand beobachteten wir Mitglieder einer russisch-stämmigen Minderheit bei ihrer harten Arbeit auf dem Feld, bekannt sind sie für ihre Kohlkreationen. Mittags erreichten wir Gyumri und fuhren auf abenteuerlichen Wegen zu einem Restaurant, das auf den ersten Blick aussah wie eine Kiesgrube, sich auf den zweiten Blick als Fischfarm entpuppte. Nach Stör-Sushi und Kaviar gab es gegrillten Stör… es muss nicht immer Kaviar sein… aber manchmal eben doch!

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Auf wiederum abenteuerlichen Wegen – mehr Schlaglöcher als Asphalt – sollte es nach Marmaschen gehen. Die Odyssee endete im dritten Versuch doch tatsächlich am Kloster. Filigrane Ornamente und Blendarkaden machten die Kathogike besonders attraktiv. Scheinbar auch für Backgammon-Spieler, die im ehemaligen Gawit der Hauptkirche eifrig ins Spiel versunken waren. Gestört werden sie hier ja auch nicht durch aufdringliche Reisegruppe – den Schlaglöchern sei Dank.

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Dann ging es zurück nach Gyumri. Wir bummelten durch das Zentrum und die Altstadt, respektive das, was nach dem Erdbeben von 1988 noch davon übrig blieb. Erstaunlich, dass man in den letzten 26 Jahren noch nicht auf die Idee kam, den Schutt zum Auffüllen der weitverbreiteten Schlaglöcher zu benutzen. Und das, wo doch die Armenier so vieles erfunden haben. Letztes Tagesziel: der Lebensmittelmarkt, auf dem alles angeboten wird, was das Herz begehrt: Berge von Melonen und Weintrauben, saftige Pfirsiche, Walderdbeeren, den für die Stadt typischen Fadenkäse und Kaffee in allen erdenklichen Variationen…

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In unserem Hotel für die heutige Nacht, dem Berlin Art Hotel, wurden wir exzellent und exklusiv bekocht. Unser Tisch wurde als Installation, Rosen und Kerzen inklusive, Teil der Ausstellung von abstrakten Bildern und Wandteppichen. Und wir zum bestaunten lebenden Kunstwerk.

Konfuze, gefangen in seiner G-Phase, grübelt: „Geschummelt beim Glücksspiel, gemogelt in Gawits? So grummelt’s in Gyumri mit Gedonner und Geblitz. Gar grausig gefallen durch Gewitter die Grade, doch gemütlich gebettet in gedieg‘nem Gemache. Geruhsam genießen geschätzte Gefährten, die Gedanken, den Geist, Genie von Gelehrten. Genug von Gesülze und gewolltem Gereim, Gemüter geneset, gleich geschafft ist die Pein.“

Seidenstraßen-Schnuppertour

Vor unserer Abfahrt statteten wir der benachbarten Lavasch-Bäckerei einen Besuch ab. Die drei Damen vom Erdofen sangen nach einer 15-Stunden-Schicht ein Loblied auf ihren Chef, einem Frauenversteher vor dem Herrn. Da gibt es schon mal einen Mantel anlässlich des Weltfrauentags, eine Gratifikation zum Geburtstag, Ausflüge und Essenseinladungen an Feiertagen.

Bäckerei

Anschließend ging es zur längsten Seilbahn der Welt mit 5.752 m, die uns zum Kloster Tatev brachte. 896 gegründet, von Seldschuken zerstört und im 14. Jh. durch die Orbeliden wieder aufgebaut. Zentrum dieses großen Komplexes ist die Peter-und-Paul-Kirche, in der wir gerade noch die letzten Minuten der Morgenmesse miterlebten. Zum Kloster gehörte auch eine Bibliothek, ein Refektorium, Mönchszellen und ein Bischofssitz und von fast überall hatte man tolle Ausblicke in die tiefe Schlucht und wunderschöne Landschaft.

SchluchtTatev1Tatev TatevMesse

Auf der armenischen Seidenstraße fuhren wir durch das Zangeziri-Gebirge an den Arpa-Fluss, wo wir Mittag machten. Wir folgten der Seidenstraße über den 2.410 m hohen Selim-Pass. Kurz vor der Anhöhe besichtigten wir die kleine, alte, gut erhaltene Karawanserei mit Schlafnischen für die Händler und Futtertrögen für die Pferde.Seidenstraße

Selimkarawanserei

Bei schönstem Nachmittagslicht fuhren wir weiter über die Hochebene mit ihren unendlichen Weiten, zig Schattierungen in Gelb, Schaf-, Ziegen- und Kuhherden und unzähligen Adlern, die majestätisch über uns ihre Kreise zogen. Schon kurz später erblickten wir zum ersten Mal den Sewan-See, die „blaue Perle Armeniens“. Bei Martuni, der ‚Kartoffelstadt‘, erreichten wir das Ufer des Sees, das gesäumt ist von dick mit Früchten behangenen Sanddornsträuchern – sehr zu Milenas Begeisterung. In Noratus besuchten wir einen weitläufigen Friedhof mit zum Teil uralten Kreuzsteinen und Grabplatten, die mit Szenen aus dem Leben der Verstorbenen dekoriert sind.

Noratus2

Abends erreichten wir das Harsnakar-Hotel in Sewan, das den geballten Charme des sowjetischen Neo-Barocks verströmt, inklusive eines blauen Plüschteppichs, der weicher ist als unsere Betten, bestehend aus einer zwei Zentimeter dicken – oder eher dünnen – Schaumstoffmatte auf einem Holzbrett. Im Speisesaal, der locker mehrere hundert Personen fassen kann, verloren sich neben uns nur noch zwei weitere Personen – zum Gruseln. Dafür machten unsere Armenisch-Kenntnisse deutliche Fortschritte. Nach dem Fisch-Essen bestellten wir haj gagan surtsch und chotabuizerov thej und zum Mitnehmen gitronov thej met thejnikov vorovhatev ankeruhis hiwand e. Alles klar?!

Herr Konfuze resümierte: „An unbeschiffbaren Seen, ruht man auf Bügelbrettern.“